Yorick Smythies (1917–1980)

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Yorick Smythies (approx. 1967)
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Yorick Smythies wurde am 21. Februar 1917 in Shanklin, Isle of Wight, geboren. Eine Anekdote über den jungen Yorick besagt, er habe im Alter von fünf Jahren ein Schild an seiner Tür befestigt, auf dem stand: „Nicht stören, lese Plotin.“ (vgl. Conradi 2001a: 4) Die ursprüngliche Quelle dieser Anekdote ist uns unbekannt. Peter. S. Conradi legt nahe, dass sie auf Iris Murdoch (1919–1999) zurückgeht. Die Begebenheit wird in seiner Biographie etwas anders erzählt (vgl. Conradi 2001b: 381). Smythies studierte später im Moral Science Tripos von Oktober 1935 bis Juni 1939 am Kings College der Universität Cambridge. Er began Wittgensteins Vorlesungen im akademischen Jahr 1935/36 im Alter von nur 18 Jahren zu besuchen, wurde aber nicht vor 1938 mit ihm bekannt (vgl. Bouwsma 1986: 66). 1935/36 machte Smythies keine besonders ausführlichen Mitschriften, was sich 1938 änderte, als Wittgenstein seine Vorlesungstätigkeit nach einer eineinhalbjährigen Pause wieder aufnahm. Smythies verlies Cambridge ein Jahr nach seinem Abschluss im Juni 1940. Als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen erhielt er im März 1940 eine unbedingte Freistellung vom Militärdienst (WC: 320, Wittgenstein an N. Malcolm, 26. März 1940). Im November 1940 und Januar 1941 kehrte er zeitweise nach Cambridge zurück, aus welcher Zeit weitere Vorlesungsmitschriften erhalten sind.

Aus einem Bewerbungsformular, das er 1967 ausgefüllt hat, wissen wir, dass er von 1942 bis 1945 als lokaler Befrager („local investigator“) für den Social Reconstruction Survey des Nuffield College in Oxford tätig war. Dieser wurde ins Leben gerufen, um die ökonomischen Aussichten der Regionen des Landes im Hinblick auf die negativen Effekte des Krieges zu untersuchen. 1944 gab Smythies eine Lehrveranstaltung zu George Berkeley an der Universität Oxford. Im selben Jahr trat er zum Katholizismus über. Wittgenstein fühlte sich für diesen Schritt mitverantwortlich, wie er sagte, weil er Smythies dazu angeregt hatte, Kierkegaard zu lesen (vgl. Monk 1990: 463f., WC: 363). Smythies kehrte im Mai 1945 oder etwas früher nach Cambridge zurück, wo er für die Bibliothek der Cambridge Philosophical Society arbeitete, heute Teil der Bibliothek der Universität Cambridge. Obwohl berichtet wird, er habe Vorlesungen dieser letzten Periode von Wittgensteins Lehrtätigkeit besucht, scheint er nur wenige oder gar keine Mitschriften mehr verfasst zu haben. Er fasste seine Vorlesungsmitschriften, zum großen Teil aus dem Zeitraum 1938 bis 1940, unter dem Namen Whewell’s Court Lectures zusammen, benannt nach den Örtlichkeiten, wo die Vorlesungen stattfanden, in Räumen des Whewell’s Court, Trinity College in Cambridge. Er blieb in Cambridge bis Wittgenstein seinen Lehrstuhl im Sommer 1947 aufgab, was dessen Vorlesungen ein Ende setzte.

Im selben Jahr zog Smythies zurück nach Oxford, wo er weiterhin als Universitätsbibliothekar arbeitete und sich mit der Philosophin und Schriftstellerin Iris Murdoch befreundete. Murdoch porträtiert ihn in ihrer Figur des Hugo Belfounder in ihrem sehr erfolgreichen Romanerstling Under the Net von 1954 (vgl. Conradi 2001: 4). Smythies erhielt ein Exemplar von Iris Murdoch mit einer Widmung an ihn und seine erste Frau. Das Exemplar wurde Ende Mai 2014 von einem Londoner Antiquar für 7800 Dollar verkauft. Smythies schrieb selber viel, sowohl Philosophisches als auch Dichterisches, publizierte zu Lebzeiten aber nur Mitschriften von Vorlesungen Wittgensteins und eine Buchbesprechung von Russells History of Western Philosophy publiziert in „The Changing World“ (Smythies 1947). In Letzterer macht er wirkungsvollen Gebrauch von Fragen und Zitaten, um den Mangel an Klärung zu veranschaulichen, die Russell über sein Thema gibt. Smythies‘ Hauptanliegen geht über den Zweck einer Buchbesprechung hinaus, nämlich die Kritik einer Tendenz in der Philosophie, in die Gewohnheit zu verfallen, die eigene Diskussion im Grunde nicht ernst zu nehmen (vgl. Smythies 1947: 81). (Der Text kann von dieser Seite heruntergeladen werden.) Wittgenstein las die Buchbesprechung und kommentierte sie in einem Brief an Smythies vom 27. Juli 1947: „Ich habe ein Exemplar von ‚Changing World‘ bekommen und deine Buchbesprechung gelesen; sie ist, glaube ich, nicht schlecht.“ [„I got a copy of ‚Changing World‘ and have read your review and it isn’t bad, I think.“] (WC: 413) Smythies arbeitete während Jahren daran, seine zuweilen kaum lesbaren Mitschriften für die Publikation vorzubereiten: Er schrieb sie ins Reine, ordnete sie und tippte sie ab, oder sprach sie auf Band, um sie tippen zu lassen. Mitschriften von Smythies wurden in Wittgensteins Lectures and Conversations on Aesthetics, Psychology and Religious Belief aufgenommen (publiziert 1966) sowie in die Lectures on the Foundations of Mathematics (publiziert 1978). Seine Versuche der zweiten Hälfte der 1970er, die Whewell’s Court Lectures zu publizieren, zuerst bei Blackwell und dann bei Oxford University Press, scheiterten aber vor allem an seiner Kompromisslosigkeit.

In den letzten Jahren seines Lebens, litt Smythies an einem Lungenemphysem, dem er 1980 erlag, ohne noch etwas von seinen Vorlesungsmitschriften oder seinen eigenen Schriften zu publizieren. Er hatte die „Lectures on Freedom of the Will“ und zwei Vorlesungen aus den Volition Lectures für die Publikation in C. Grant Luckhardts Wittgenstein: Sources and Perspectives vorbereitet. Doch der Band erschien 1978 ohne diese Beiträge. Wittgensteins „Lectures on Freedom of the Will“ wurden erst 1989 von seiner zweiten Frau Peg und Rush Rhees (1905–1989) publiziert, den sie nach Smythies Tod heiratete. Ein erstes Inventar jener Teile von Smythies‘ Nachlass, die sich auf Wittgensteins Vorlesungen beziehen, wurde 1998 von Volker A. Munz erstellt. Die Originale der Notizbücher wurden 2001 ohne die Rechte an die Universität Kagoshima in Japan verkauft. Bis jetzt gibt es kein Inventar von Smythies‘ eigenen Schriften. Sein Nachlass wird an der Universität Klagenfurt aufbewahrt, dem der Rest von Smythies‘ Schriften nach dem Tode Pegs 2014 hinzugefügt wurde. Diese umfassen insbesondere ein vierteiliges Werk mit dem Titel „And And And And“, bestehend aus: 1) „Non-Repetition“ (der philosophische, fragmentarisch gebliebene Teil), 2) „Offices“ (Gedichte), 3) „Beings“ (Gedichte) und 4) „Hubert of Calverley“ (Schauspiel).

Volker A. Munz und Bernhard Ritter

Literatur

Bouwsma, O. K.: Wittgenstein: Conversations 1949–1951. Hackett Publishing, Indianapolis, 1986
Conradi, Peter J: „Did Iris Murdoch Draw From Life?“ In Iris Murdoch Newsletter, 15, 2001, 4–7.
Conradi, Peter J: Iris Murdoch: A Life. W. W. Norton, New York, 2001.
Luckhardt, C. Grant. Wittgenstein: Sources and Perspectives. Cornell University Press, New York, 1978.
McGuinness, Brian (Hg.): Wittgenstein in Cambridge: Letters and Documents 1911–1951. Wiley-Blackwell, Malden (MA), etc., 2008 [= WC].
Monk, Ray: Wittgenstein: The Duty of Genius. 1991, Penguin Books (1990, Jonathan Cape), New York, etc.
Smythies, Yorick: „History of Western Philosophy by Bertrand Russell“ in The Changing World: Quarterly Review, 1947, No. 1, 72–81 [Smythies_Review_Russell_1947].
Wittgenstein, Ludwig: Lectures and Conversations on Aesthetics, Psychology and Religious Belief Blackwell, London, 1983 (1966).
Wittgenstein, Ludwig: Lectures on the Foundations of Mathematics. Diamond, Cora (Hg.). Harvester Press, Hassocks, 1976.
Wittgenstein, Ludwig: „Lectures on Freedom of the Will.“ In: Philosophical Investigations, Vol. 12, No. 2, 1989, 85–100. Reprinted in Philosophical Occasions 1912–1951. Klagge, James C.; Nordmann, Alfred (Hg.). Hackett Publishing, Indianapolis, Cambridge, 1993, 429–444.